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News der HSW Freiburg

Gaby Probst: «Präsenz im Fernunterricht zu erschaffen ist eine Kunst für sich!»

14. Okt 2022

Gaby Probst, Pädagogische Leiterin, Mitglied der Direktion und Dozentin für Wirtschaftsdeutsch an der Hochschule für Wirtschaft Freiburg (HSW-FR), ist vor allem eine Expertin für E-Learning. Einer ihrer Artikel wurde bei der International Conference on Quality in Higher Education ICQHE 2022 mit dem Preis für die beste Präsentation - online natürlich - ausgezeichnet.

Gaby Probst hat nicht erst seit der Covid-19-Pandemie Interesse am Fernunterricht, das Thema fasziniert sie schon seit vielen Jahren. Als sie selbst noch Studierende war, hat sie bereits mit Fernunterricht experimentiert, lange bevor Videokonferenztools wie Teams oder Zoom zu unserem Alltag gehörten. Die pädagogische Verantwortliche der HSW-FR und Professorin gibt die Fortschritte in diesem Bereich mit Begeisterung an ihre Kolleg-inn-en weiter. In Ihrer freiberuflichen Nebentätigkeit hat Sie den Kurs "Zertifizierter live-online-Dozent-in" zur Unterstützung von Lehrkräften entwickelt und ist als Trainerin für das deutsche Unternehmen telc (The European Language Certificate) tätig.

Wie hatten Sie den Fernunterricht während Ihres Studiums erlebt?

Im Rahmen meines Masterstudiengangs in Erwachsenenbildung befasste sich das erste Modul mit E-Learning, und es wurde zwangsläufig in dieser Form, aber mit einer anderen Technologie als der heutigen gegeben. Man muss sich bewusst sein, dass ein Fernstudium nur mit Disziplin und Selbstmotivation funktioniert. Die Fähigkeit, aus Fortschritten und Erfolgen zu schöpfen und sich von Misserfolgen nicht frustrieren zu lassen, ist entscheidend. Genau diese emotionale Seite wollten wir im Artikel, den ich und Dr. Laura Zizka gemeinsam verfasst haben, hervorheben.

Inwiefern ist Unterricht emotional?

Man kann nicht nicht Emotionen haben. Daher ist es wichtig, den Unterricht mit positiven Emotionen zu unterstützen, man muss miteinander interagieren und Verbindungen herstellen, um positive Beziehungen aufzubauen.

Ist es die Aufgabe der Dozierenden positive Emotionen zu vermitteln? 

Ja, die Dozierenden begleiten die Studierenden.

Wenn er oder sie einen schlechten Tag hat, kann sich das in seinem oder ihrem Unterricht widerspiegeln. Das gilt für Fern- und Präsenzunterricht gleicher­massen. Ich sage immer, dass Studierende die besten Psychologen sind, weil sie die Stimmung der Kursleitenden erkennen, noch bevor sie das Klassenzimmer betreten. Sie psychoanalysieren Professoren und Professorinnen, seit sie fünf Jahre alt sind. Ich bin davon überzeugt, dass es die Aufgabe der Dozierenden ist, für eine gute Atmosphäre zu sorgen.

Ist die emotionale Komponente auf Distanz bedeutender als bei Präsenz Unterricht?

Ich glaube nicht. Während der Pandemie kam der Aspekt der Angst hinzu: die Angst vor der Ansteckung von Verwandten, vor Krankheiten oder Todesfällen im Umfeld. Die emotionale Seite, die die Pandemie mit sich brachte, wirkte sich auf den Unterricht aus. Ausserhalb dieser Ausnahmesituation, in einer guten Umgebung und wenn alle gesund sind, verläuft der Unterricht anders und die Unterschiede zwischen Fern- und Präsenzunterricht sind weniger spürbar.

Aber wie schafft man Nähe trotz der Distanz?

Da ein Grossteil unserer Gestik auf dem Bildschirm nicht sichtbar ist, muss man viel menschlicher wirken. Für Professoren und Professorinnen ist dies umso schwieriger, wenn die Studierenden die Kamera ausschalten. Das eigene Spiegelbild anzulächeln, ist nicht leicht. Wir sind keine Clowns, wir haben keine Schauspiel-Ausbildung. In der Folge kann sich der emotionale Unterricht nicht auf die Emotionen anderer stützen, da man sie nicht sieht. Aber es gibt Tricks, um sich selbst menschlich(er) zu zeigen, man kann kleine Witze einbauen, die Katze zeigen, die in der Wohnung herumläuft... 

Wir wenden uns an die Generation der sozialen Netzwerke, die weiss, wie wichtig es ist, das eigene Image zu pflegen

Gaby Probst

Ist es unangenehm, wenn die ganze Klasse die Kamera ausschaltet?

Ich habe volles Verständnis für Studierende, die die Kameras nicht einschalten. Ich habe sie vor den Dozierenden verteidigt, die sich darüber beschwert haben. Wer lebt schon in einem Schloss am Genfer See ? Zudem wenden wir uns an die Generation der sozialen Netzwerke, die weiss, wie wichtig es ist, das eigene Image zu pflegen. Auch wenn eine Videokonferenz auf Teams nicht Instagram ist, kann jemand ein Foto von jemandem aus der Klasse in ihrer oder seiner Umgebung machen und es weiterverbreiten. Die Jugendlichen schützen sich, das ist konsequent und absolut verständlich.

Sie sagen, dass der soziale Aspekt beim Lernen wichtig ist. Warum?

Lernen ist von vornherein sozial, auch wenn man natürlich alleine lernt. Man muss zwischen passivem Lernen, bei dem der Lehrer im Mittelpunkt steht und sein Wissen vermittelt, und aktivem Lernen unterscheiden, bei dem die Lernenden in den Lernprozess einbezogen und sie unterstützt werden, neue Kompetenzen zu erwerben. Dieses aktive Lernen braucht die anderen, braucht Interaktion.

Ein Unterricht, der weit entfernt vom Frontalunterricht ist...

Ja. Die Dozierenden fühlen sich wohl, wenn sie von ihrem Fach erzählen, genau wie die Studierenden, wenn sie zuhören und sich Notizen machen. Aber wenn man aktives Lernen fördern will, müssen beide aus ihrer Komfortzone herauskommen. Und das ist unangenehm. Gleichzeitig muss man es tun, um den Unterricht zu verbessern. Ping-Pong-Unterricht, bei dem der Professor zu den Studierenden und umgekehrt spricht, reicht nicht aus, alle müssen integriert werden.

Wie kann man die ganze Klasse einbeziehen?

Spielen Sie Volleyball statt Pingpong. Wenn die Diskussion zwischen den Studierenden hin und her wechselt, beginnt sie erst richtig interessant zu werden. Dafür muss das Verhalten geändert werden. Die Studierenden müssen sowohl den anderen als auch den Dozierenden zuhören.

Es ist nicht einfach, einen solchen Austausch in einer Videokonferenz anzuregen...

Nein. Aber um ein tiefes und wirklich interessantes Lernen zu schaffen, ist es notwendig, Kontakt herzustellen. Präsenz trotz Distanz zu schaffen, das kann man lernen, es ist ein Lernprozess, und es ist auch eine Kunst.

Wie kann man unter diesen Bedingungen den Klassengeist fördern?

Es gibt Gruppenarbeiten, die man selbstverständlich genau beobachten muss, um sicherzustellen, dass die Anweisungen klar sind und alle mitmachen. Im synchronen Unterricht kann der Lehrer die Studierenden ansprechen, ganz so wie im Präsenzunterricht. Allerdings mit dem Unterschied, dass man im Online-Unterricht etwas mehr Geduld braucht. Man muss warten, bis die Person ihr Mikrofon oder ihre Kamera einschaltet.

Sie übernehmen die Rolle des pädagogischen Verantwortlichen an der HSW-FR. Was wird sich aufgrund Ihrer Forschung ändern?

Wir denken darüber nach, eine Pilotklasse im Blended-Learning-Format zu starten, mit einem Teil Präsenzunterricht und einem anderen Teil Fernunterricht, um die Entwicklung einer positiven Gruppendynamik zu erleichtern. Ich persönlich glaube, dass dies die Zukunft des Unterrichts ist.

 

Die Streiche von Deepl & Co

Im Gegensatz zu früheren Generationen hatte die Generation der Digital Natives schon immer technische Hilfsmittel zur Verfügung. "Sie ist natürlich neugierig, aber manchmal fehlt es ihr an technischem Wissen und kritischem Denken", sagt Gaby Probst. So erhielt die Sprachprofessorin Texte, die von der automatischen Software Deepl ins Deutsche übersetzt wurden. Ein Trick, den die Lehrerin schon in der ersten Zeile erkennt. Unter den Hausaufgaben, die besonders lustig waren - auch wenn die Lehrerin überhaupt nicht lacht, wenn sie eine Übersetzung einer Maschine erhält - war ein grammatikalisch einwandfreier Text über Polyethylen¬terephthalat, im Deutschen besser bekannt unter der Abkürzung PET. Natürlich identifizierte der maschinelle Übersetzer den Kunststoff nicht, sondern übersetzte ihn als "Furz (PET)", französisch für pet. "Das war wirklich eine Furzidee", lacht Gaby Probst. Die Lehrerin merkt jedoch an, dass die Jugendlichen zwar mit der neuesten Software vertraut sind, aber manchmal nicht weiterwissen, wenn es darum geht, in Word die Sprache zu ändern, in der ein Text überprüft werden soll.